Familienverhältnisse im Wing Tsun
Vorbemerkung:
Traditionell gibt es im Wing Tsun keine Graduierungen. Wing Tsun wurde bis zu Großmeister Yip Man immer nur im kleinen Kreis in individueller Unterweisung unterrichtet und von Generation zu Generation im Geheimen weitergegeben. Wing Tsun wird daher auch als Familiensystem bezeichnet. Nicht nur die Unterrichtsweise, sondern auch Begriffe wie Si-Gung, Si-Fu, To-Dai deuten auf diese Ursprünge hin.
Die Schülerzahl war somit stark begrenzt, der Lehrer nahm vielleicht nur zwei oder drei Schüler an. Weil jede reale Kampfsituation dem Zufall unterworfen ist, unterrichteten die Lehrer traditionell folgerichtig eben die Technik, die sich zufällig aus der Situation ergab. Bei sehr kleinen Schülergruppen ist diese Methode zweifellos von Wert. Wer lange genug dabei bleibt, lernt vielleicht irgendwann das ganze Repertoire seines Lehrers.
Angesichts der heutigen Schülerzahlen ist jedoch ein systematisches Training erforderlich. Jeder Schüler würde ansonsten vielleicht nur einen Ausschnitt des gesamten Wing Tsun-Systems erlernen. Leung Ting und Keith R. Kernspecht haben aus diesem Grund die wichtigsten Wing Tsun-Techniken in Programmen (Chi-Sao-Sektionen, Lat-Sao-Programme) zusammengestellt. Da die Gefahr besteht, daß ein programmorientierter Unterricht zum Üben festgelegter Bewegungsfolgen führt - das genaue Gegenteil von dem, was Wing Tsun will - lernt der Schüler nur anfänglich bestimmte Bewegungsmuster, die er jedoch schnell verlassen soll. Wichtig sind das Reagieren nach Gefühl und freies Kombinieren. Auf diese Weise bleibt der besondere Charakter des Wing Tsun erhalten und man kann dennoch sicherstellen, daß der Schüler - trotz etwaiger Vorlieben seines direkten Lehrers - jede Technik lernt. Dies ist die ideale Methode, größere Klassen ohne Qualitätsverlust zu unterrichten.
Zusammen mit den Programmen wurde ein Graduierungssystem ähnlich dem des Karate geschaffen. Der Schüler kann dadurch seinen Fortschritt selbst beobachten und in gewisser Weise einschätzen (Motivationsfaktor). Der Hauptvorteil ist jedoch, daß man durch die Graduierung weiß, welche Techniken der Schüler bereits gelernt hat.
Noch etwas Wichtiges:
Eine Graduierung ist nichts wert, wenn der zugrunde liegende Stoff nicht beherrscht wird. Urkunden und Abzeichen zählen im Ernstfall gar nichts. Ändert sich die Kampffähigkeit allein durch den Besitz einer bestimmten Urkunde oder durch Abzeichen und Gürtel in einer neuen Farbe? Nein! Nur hartes Üben und dadurch Können zählen etwas. Durch bequemes im Sessel sitzen ist noch niemand besser geworden.
Wing Tsun ist heute kein Geheimstil mehr. Was man nicht weiß, kann man sich erarbeiten. Für manche werden bestimmte Techniken ein Geheimnis bleiben, weil sie nicht hart genug geübt haben. Von denjenigen, die sie aber beherrschen, denken diese Leute dann, sie würden irgendwelche Tricks oder geheimen Techniken benutzen oder ein spezielles Talent dafür haben. Die dahintersteckende Arbeit wird selten gesehen.
1. Generation |
|
Si-Jo |
|
|
2. Generation |
Si-Pak-Gung |
Si-Gung |
Si-Suk-Gung |
Si-Tai |
3. Generation |
Si-Pak |
Si-Fu |
Si-Suk |
Si-Mo |
4. Generation |
Si-Hing Si-Je |
To-Suen |
Si-Dai Si-Mui |
|
|
|
To-Dai |
|
|
Bedeutung:
Diese Verhältnisse werden im Wu Shu (benennt die chinesische Kampfkünste und Familienstile) als sehr bedeutsam angesehen. Die Begriffe sind alle aus Sicht des To-Dai´s zu sehen: Si-Gung ist zum Beispiel der Großvater des To-Dai. Die genannten Begriffe sind auch gleichzeitig die Anreden für den Trainingspartner, Lehrer oder Ausbilder. Durch diese Bezeichnungen wird jedoch keine Befehlshierarchie bedingt, es zählt auch nicht, wer eine höhere Graduierung hat. Aber der länger trainierende verdient den Respekt derer, die gerade erst dazu gestoßen sind. Eine Wing Tsun - Schule ist nicht einfach nur ein Sport-Club ...
To-Dai wird man mit der Annahme als Schüler durch den Lehrer. Zum Sifu muß man durch seinen Si-Fu ernannt werden. Sifu ist keine Graduierung, sondern ein (Ehren-)Titel. Dai als Vorsilbe, (z.B. Dai-Sifu) "kennzeichnet" den Leiter einer Gruppe. Der Dai-Sifu ist somit der höchste aller (anwesenden) Sifu´s.
Heute wird das alles meist nicht mehr so eng gesehen. Als Si-Hing wird nur noch der amtierende Ausbilder angesprochen. Die Schüler untereinander benennen sich mit ihren Vornamen. Es soll nichts komplizierter gemacht werden als es ist. Dem Si-Fu und dem Si-Gung wird durch diese Anreden ein gewisser Respekt gezollt.
Unterschied zwischen Sifu und Si-Fu
Si-Fu mit Bindestrich ist der persönliche Lehrer. Dies ist gleichzeitig die Anrede für ihn (ohne Nennung des Namens). Sifu ohne Bindestrich ist ein Titel, die Berufsbezeichnung eines anerkannten Wu Shu-Lehrers. Dieser wird immer im Zusammenhang mit Vor- und/oder Nachnahmen genannt: z. B. Sifu Müller, Sifu Uwe, Sifu Uwe Müller. Es gibt natürlich auch noch Varianten mit Si-Hing/Sihing, Si-Je/Sije, u.s.w.
Was ist denn eigentlich "Kung Fu"?
Kung Fu wurde von Bruce Lee erstmals verwendet. Es ist verwandt mit gung zuo, was so viel wie "harte Arbeit" heißt. Gung zuo ist Mandarin (chinesische nördliche Hochsprache) und Kung Fu ist der selbe Begriff aus dem kantonesischen Bereich (wie Hongkong, Shanghai).
Kung Fu (Chinesisch „harte Arbeit"), chinesische Kampfsportart und Technik der Selbstverteidigung, die große Ähnlichkeit mit Karate aufweist und die in vielen verschiedenen Varianten verbreitet ist. Beim Kung Fu werden Hände und Füße für Schlag-, Tritt-, Wurf- und Haltetechniken benutzt. Die weltanschaulichen Wurzeln dieser Kampfsportart liegen im Buddhismus, Konfuzianismus und Taoismus. Die Übungen steigern die körperliche und geistige Fitneß und erhöhen die Konzentrationsfähigkeit und das Selbstvertrauen. Als Wettkampfsport wird Kung Fu auf einer Kampffläche von acht mal acht Metern in verschiedenen Gewichtsklassen ausgetragen. Wie beim Karate unterscheidet man drei verschiedene Formen: Nichtkontakt-Kung Fu, bei dem Schläge an den Kopf des Gegners nicht zulässig sind und bei dem generell kaum Körperkontakt besteht, da Schläge und Tritte vor dem Körper abgestoppt werden. Beim Halbkontakt-Kung Fu dürfen Angriffe in das Gesicht und die vordere Körperpartie ausgeführt werden, jedoch Schläge gegen die Augen, den Kehlkopf und den Unterleib sind untersagt. Die Kämpfer schützen sich durch Hand-, Fuß- und Unterleibspolster. Die Kampfrichter vergeben Punkte für gelungene Techniken. Sieger ist, wer nach einer Kampfdauer von zwei Minuten (in der Vorrunde) und drei Minuten (in der Hauptrunde) die meisten Punkte aufweist. Die dritte Form ist das Vollkontakt-Kung-Fu, bei dem voll zugeschlagen wird, so daß der Gegner kampfunfähig wird.
Geschichte des Kung Fu
Man nimmt an, daß Kung Fu mit der Ankunft von Bodhidharma im Shaolin-Kloster von Songshan im 6. Jahrhundert n. Chr. zum festen Bestandteil der chinesischen Kultur wurde. Aus den frühen Formen des Kung Fu entwickelte sich das Shaolin-Boxen, das heute noch auf der ganzen Welt verbreitet ist. Es wird vermutet, daß von Nordchina aus eine Form des Kung Fu nach Korea gebracht wurde, die sich dort als Taekwondo etablierte. Für die Verbreitung von Karate spielte der Handel zwischen den südchinesischen Provinzen und Okinawa eine bedeutende Rolle. Zu den heute weltweit am häufigsten praktizierten Arten des Kung Fu gehören Hung Kuen, Choy Lee Fut und Wing Chung, das durch die Filme mit Bruce Lee bekannt wurde.